Die Reitzensteiner – eine Künstlerstraße in Stuttgart.
Eine Geschichte mit Folgen.

Zwischen der Adenauerstraße in Stuttgart und der Bundestraße 14, unweit des Schwanentunnels, befindet sich die Reitzensteinstraße. Auffallend ist die weiße Häuserzeile, deren architektonischen Reihung zwei Gebäudetypen miteinander verzahnt. Sechs verputzte Quader wechseln sich in regelmäßiger Rhythmik mit Wellblech gedeckten Tonnenhallen. Aus dieser merkwürdigen Addition ähnlich einer Kurbelwelle sind die Atelierräume für elf Künstler entstanden. Im Jahre 1991 zogen die ersten Künstler in die Atelierhäuser in der Reitzensteinstraße ein, aber nicht als Mieter, sondern als Bauherren. Und damit wurden die Künstlerateliers in der Reitzensteinstraße zu auch einem Pilotprojekt in der Bundesrepublik.
Wie kam es dass in Stuttgart, wo man mit Abriss von Bauten, in denen Künstlerateliers untergebracht waren, nicht gerade zimperlich war, zu solcher Initiative?
Der Stuttgarter Bildhauer, Jo Schöpfer, entwickelte aus der Not heraus einen eigenen Plan mit Neubauten zusammen mit dem Architektenpaar Elisabeth und Fritz Barth.
Es handelte sich um ein Modell‑Projekt folgenden Inhalts. – Künstler bauen ihre Ateliers selber. Die Stadt stellt über Erbpachtvertrag das Grundstück zu Verfügung. – Inzwischen hatten sich Künstler, die den Verlust ihrer Ateliers befürchten mussten, mit Neubau‑Initiator Schöpfer solidarisiert.
Diese waren anfänglich Julio Rondo, Camill Leberer, Erdmut Bramke, Wolfram Ullrich, Rudolf Schoofs, Herbert Egl, Christoph Freimann, Jo Schöpfer, Karl Pfahler, Nikolaus Koliusis, Gudrun und Ulrich Bernhardt.
Bei der Vorstellung der Pläne in der Galerie der Stadt sagte Oberbürgermeister Rommel: „Dieses Projekt möge dafür sorgen, daß wir die guten Künstler in Stuttgart halten und nicht verlieren.“
Für die Bauzeit, schlossen sich die am Projekt beteiligten Künstler dann zu einer Baugesellschaft zusammen. Es gab keinerlei finanziellen Hilfen seitens der Stadt. Die Künstler bauten ihre neuen Arbeitsplätze mit eigenem Geld. Die Bauten wurden jedoch teurer als geplant und die Hilfe zur Selbsthilfe offenbarte ihre eigenen Fragwürdigkeiten und zwang die Künstler zu neuen Berechnungen, die bis an die Schmerzgrenze gingen. Der Beitrag der Stadt erschöpfte sich in der Bereitstellung des Bodens, der ihr Eigentum blieb und an die Bauherren für 70 Jahre verpachtet wurde. Die Erhöhungen der Erbpacht, waren besonders in den Anfangsjahren, der noch zu bedienenden Baukredite eine starke Belastung und sind es bis heute immer noch.
Das Projekt wurde dann 1993 eingeweiht und besteht heute mit neuen Eigentümern und Künstlern:
Cristina Barroso – Malerin, Camill Leberer – Skulpturen, Wolfram Ullrich – Bildhauer, Dong Schoofs, Herbert Egl – Maler, Niko Grindler – Fadenbilder und Frieder Grindler – Design Konzepte, Atelier Jo Schöpfer mit Schlecker Studio Ateliergemeinschaft mit 10 Künstlern, Nikolaus Koliusis – Objekt und Fotografie, Gudrun Bernhardt – textile Objekte und Ulrich Bernhardt – Medienkunst.
Der Kunstkritiker und Kurator Günther Wirth schrieb in seinem Katalog Die Reitzensteiner eine Künstlerstraße in Stuttgart: „Nirgends in Stuttgart kann man einer solchen Konzentration von eigenwilligen kreativen Menschen im Bereich der bildenden Kunst begegnen wie in den Ateliers der Reitzensteinstraße.“ Die Kunst ist überegional, mehreren Medienbereichen zugehörig und aktuell. Der Dialog mit der Kunstwelt ist erwünscht. Die scharfe Formulierung wird von keiner Seite gefürchtet, wenn dahinter intellektuelle Qualitäten stehen. So ist die Reitzensteinstraße ein wichtiger Teil und Ort der zeitgenössischen Kunstwelt.“

Aktuell wollen wir „Reitzensteiner“ Veranstaltungen für ein kleines geladenes Publikum in unseren Ateliers machen und aktuelle Fragen zur Kunst und Kunstproduktion diskutieren, und planen ein jährlich stattfindenes Sommerfest.